
Wie Darmbakterien vor Alzheimer und Multipler Sklerose schützen können
Ein Freiburger Forscherteam hat herausgefunden, dass das intestinale Mikrobiom die Funktionalität der Immunzellen des Gehirns entscheidend beeinflusst. Diese Erkenntnisse könnten zukünftig eine Schlüsselrolle in der Prävention von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer spielen.
Mikroglia: Die Wächter der Gehirngesundheit
Dank moderner Joghurt-Werbung und Giulia Enders‘ Erfolgstitel „Darm mit Charme“ ist das Thema Darmflora inzwischen nahezu gesellschaftsfähig. Das Darmmikrobiom und seine Auswirkung auf den menschlichen Organismus – etwa das Immunsystem – gehört aber auch nach wie vor zu den brisantesten Themen in der Medizinforschung. So hat ein Forscherteam um Prof. Dr. Marco Prinz vom Universitätsklinikum Freiburg nun herausgefunden, dass speziell die Immunabwehr des Gehirns durch den Bestand der Bakterien im Darm beeinflusst wird.
Die Neuropathologen konzentrierten sich dabei auf Mikrogliazellen; diese dienen der Immunabwehr des zentralen Nervensystems und übernehmen hier eine Makrophagen-ähnliche Funktion. Mikrogliazellen überprüfen mit ihren dünnen Fortsätzen fortwährend das Nervengewebe auf Veränderungen, wehren fremde Erreger ab und beseitigen abgestorbene Neuronen. Sie spielen nicht nur eine Rolle beim Erhalt der physiologischen Gehirnfunktion, sondern auch in der Abwehr von Erkrankungen wie Alzheimer und Multiple Sklerose. Bislang war allerdings nur wenig bekannt, welche Faktoren die Entwicklung und Funktion von Mikrogliazellen beeinflussen.
Mangel an Darmbakterien führt zu kranken Mikrogliazellen
Die Freiburger Wissenschaftler fanden nun im Mäuse-Experiment heraus, dass ausgerechnet Darmbakterien wichtig für die Reifung und Aktivierung von Mikrogliazellen sind: Bei sogenannten „keimfreien Mäusen“, die in einer sterilen Umgebung aufgezogen wurden, präsentierten sich die Mikroglia unreif und verkümmert. Im Vergleich zu Mäusen mit einem komplexen intestinalen Mikrobiom war die Immunantwort des Gehirns auf eine aktive Stimulation bei den keimfreien Mäusen merklich beeinträchtigt.
Auch bei Mäusen mit einer ursprünglich normalen Darmflora konnten die Forscher den Zusammenhang nachweisen. Wurden die Darmbakterien durch eine vierwöchige Gabe von Breitspektrum-Antibiotika eliminiert, hatte dies verheerende Auswirkungen: Die Mikrogliazellen der Antibiotika-Mäuse entwickelten einen ähnlich unproportionierten und unreifen Phänotyp wie jene der keimfreien Mäuse. Dieser Effekt ließ sich fast vollständig wieder umkehren, wenn die Mäuse über sechs Wochen mit Artgenossen zusammengehalten wurden, die ein gesundes Darmmikrobiom aufwiesen.
Kurzkettige Fettsäuren als Schlüsselmediatoren
Doch auf welchem Signalweg kommunizieren die Darmbakterien mit den Mikroglia im Gehirn? Eine Schlüsselrolle spielen hier offenbar kurzkettige Fettsäuren (Short-Chain Fatty Acids, SCFA) wie Acetat, Propionat und Butyrat. Dies sind Fermentationsprodukte, die entstehen, wenn die Bakterien im Darm unverdauliche Nahrungsbestandteile wie Ballaststoffe aufspalten.
Vier Wochen lang wurde dem Trinkwasser der keimfreien Mäuse eine SCFA-Mischung beigesetzt. Auch ohne den Einfluss der Darmbakterien selbst konnten die Forscher feststellen, dass die Mikroglia in den Gehirnen der keimfreien Mäuse sich in vielen Parametern jenen der gesunden Mäuse annäherten. Die Forscher gehen daher davon aus, dass die SCFA aus dem Darm über die Blutbahn ins Gehirn gelangen und hier als neurochemische Mediatoren auf die Mikrogliazellen einwirken.
Weitere Forschungen müssen in Zukunft zeigen, inwiefern sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen und was sie in der Praxis für die Prävention neurogenerativer Erkrankungen bedeuten. Diese Arbeit wurde in der Nature NeuroScience veröffentlicht.
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